Clanga Pomarina ist der wissenschaftliche Name des Schreiadlers, des einzigen „echten“ Adlers, der in Vorpommern heimisch ist. Damit hat die Opernale erstmals ihr Festivalthema in der Natur gefunden.
Aber eignet sich ein Vogel – und sei er noch so symbolträchtig – ernsthaft als Opernprotagonist? Ja, dieser schon. Da waren wir uns nach einem Jahr intensiver Beschäftigung mit dem auch als Pommernadler bekannten Tier ganz sicher. Denn nicht nur bieten die wenig adequat als „tjück, tjück“ oder auch „jäff, jäff, jäff“ wieder gegebenen Rufe des Schreiadlers jede Menge musikalische Inspiration, sondern er weist auch eine ganze Reihe skurriler und äußerst widersprüchlicher Eigenschaften auf:
Während der Balz zeigt sich der Schreiadler beim sogenannten Girlandenflug als äußerst virtuoser Flugkünstler, aber auf die Jagd geht er am liebsten zu Fuß, anstatt sich wie ein anständiger Raubvogel aus der Luft auf die Beute zu stürzen.
Der Schreiadler ist ein Zugvogel, der im nordöstlichen Mitteleuropa, dem Baltikum und Russland brütet, den Winter aber im südlichen Afrika verbringt. Zum Fliegen braucht er jedoch thermische Aufwinde, so dass er auf Flugrouten angewiesen ist, die weitgehend über Land führen und damit über diverse nahöstliche Krisen- und Kriegsgebiete, in denen er leicht zwischen die Fronten gerät und zusätzlich noch durch Jäger bedroht ist.
Doch auch in Deutschland hat es der Schreiadler nicht leicht, denn er lebt gern in dünn besiedelten Gebieten und bevorzugt hohe Laubbäume in dichten Mischwäldern zum Horstbau. Zur Jagd auf Amphibien und kleine Nagetiere braucht er ausgedehnte Feuchtwiesen, die nach Möglichkeit zweimal jährlich gemäht werden sollten. Solche Bedingungen werden durch die intensive Landwirtschaft immer seltener. In Deutschland finden sie sich fast nur noch in Vorpommern und der Uckermark, weswegen die etwa 100 noch hier lebenden Schreiadler-Brutpaare als Vertreter einer bedrohten Art unter besonderem Schutz stehen.
Allerdings helfen auch die vorpommerschen Schutzgebiete dem Schreiadler und vielen anderen Vogelarten nicht gegen die wachsende Gefahr durch Windparks.
Ebenso wenig hilfreich ist eine artspezifische Eigenart: Schreiadlerweibchen brüten normalerweise zwei Eier aus, ziehen aber nur ein Junges groß, da die Eltern zulassen, dass das ältere Küken das jüngere attakiert und so lange am Fressen hindert, bis es verhungert. Der Sinn dieses, „Kainismus“ genannten, Verhaltens ist so wenig begreiflich wie die Geschichte des ersten Brudermordes aus der Bibel.
An einem geheimen Ort unweit des Sitzes des Opernale Instituts brütete mehrere Sommer lang ein Schreiadlerpaar. Das Männchen trug einen Sender und war unter dem Namen Rainer registriert. Im Frühling 2018 kehrte Rainer nicht aus dem Winterquartier zurück. Wahrscheinlich wurde er auf dem Flug nach Afrika abgeschossen. Ein letztes Signal erhielt die GPS-Bodenstation von Rainer am 31.Oktober 2017, 4:00 morgens.
Er wurde der Protagonist unserer Opernproduktion.